Nach 40 Jahren endlich wieder Weltmeister. „Magier“ Vlado Stenzel führte Deckarm & Co. zum Titel. – Foto: imago/Sven Simon

Sportart: Handball
Anlass: Endspiel der IX. Weltmeisterschaft
Datum: 05. Februar 1978
Gastgeber: Dänemark
Titelverteidiger: Rumänien
Spielort: Bröndbyhalle, Kopenhagen
Partie: BRD – UDSSR
Ergebnis: 20:19 (11:11)
Zuschauer: 7.000
Deutschland gegen die Sowjetunion im Finale der IX. Hallenhandball Weltmeisterschaft in Dänemark. Doch nicht die von allen Fachleuten und Experten erwarteten Handballer der DDR standen der sowjetischen Mannschaft um Trainer Anatoli Evtuschenko gegenüber, sondern das junge Team der Bundesrepublik. Zwar blieben die Schützlinge von Trainer Vlado Stenzel im Jahr zuvor in 17 Länderspielen ungeschlagen, galten dennoch als Außenseiter gegen übermächtig scheinende Sowjets, die 1976 in Montreal Olympiasieger und bei dieser WM als 10:1 Favorit auf den Titel gehandelt worden sind.
System gegen Teamgeist

So wurde es ein Aufeinandertreffen der perfekten Systemhandballer der UDSSR gegen eine unbedarfte, mit einem ungeheuren Teamgeist ausgestatteten Mannschaft aus der BRD. Stenzel war wohl der Einzige, der sich sicher war, das seine Mannen die „Roboter“ aus dem Ostblock schlagen würden. „Die Mannschaft ist psyschisch maximal vorbereitet“, so der gebürtige Jugoslawe, der schon weit vor der WM vom späteren Milbertshofener Bundesligaprofi Zdravko Miljak „Magier“ getauft wurde. Und in der Tat hatte seine Art etwas magisches, für Gegner furchteinlößndes.

In der Teambesprechung am Abend vor dem Finale verlor Stenzel kein Wort über den großen Gegner, kein Wort über seine Stärken oder davon, dass eigentlich alle die UDSSR als Übermacht anerkannt haben. Es ging in dieser letzten Besprechung nur um die eigenen Stärken. Und genau diese haben die Deutschen nach Siegen über die CSSR (16:13), Kanada (20:10) sowie Jugoslawien (18:13) in der Vorrunde eindrucksvoll unter Beweis gestellt. In der Hauptrunde reichten Unentschieden gegen die DDR (14:14) und gegen Titelverteidiger Rumänien (17:17) zum Einzug in dieses Finale in Kopenhagen. Die Chance nach 40 Jahren endlich wieder den Titel ins eigene Land zu holen war mehr Motivation als Bürde fürs deutsche Team.

Um 15:30 pfeifen die beiden dänischen Schiedsrichter Svensson und Christensen die Partie an. Die Sowjets demonstrieren von Anfang an, dass sie zu recht hochgehandelt werden. Schnell gehen sie in Führung, sind spielbestimmend. Doch besonders Joachim Deckarm hält dagegen. Der „weltbeste“ Handballer führt überragend Regie, ist mit 6 Treffern auch der treffsicherste Schütze auf dem Parkett. Zudem treibt Torwart Manfred Hofmann die sowjetischen Spieler mit seinen Paraden zur Verzweiflung. Der Rückstand wird zur ersten Führung nach etwas mehr als 20 Minuten gedreht. Schließlich gehen beide Teams mit 11:11 in die Pause. Die Sensation ist machbar.

Kurt Klühspies (li.) und Joachim Deckarm strecken den Pokal in die Höhe und feiern den WM-Sieg 1978. – Foto: imago / WEREK
Der große Unbekannte

Für Unmut sorgen die beiden Unparteiischen aus dem Gastgeberland. 11 Siebenmeter gegen Deutschland. Doch Hofmann behält die Nerven, kann zumindest 3 davon abwehren. Es steht 13:12. Auch wenn die Abwehr um Chef Heiner Brand bravourös aufgestellt ist, Brand liefert eine absolute Weltklasseleistung in der Defensive, kommt es in der 39. Minute zu einem denkwürdigen Wechsel. Stenzel ist mächtig sauer auf Arno Ehret, dem in der Abwehr ein Fehler unterläuft. Für Linksaußen Ehret kommt nun der große Unbekannte ins Spiel.

Dieter Waltke, wegen seine Langhaarpracht „Jimmy“ getauft, hat bis zu diesem Zeitpunkt noch keine einzige Sekunde gespielt. Von Stenzel derart ignoriert wollte der Mann von Grün-Weiß Dankersen bereits am Vorabend seine Tasche packen und Heim fahren. Stenzel reagierte: „Du spielst morgen“, und hielt tatsächlich Wort. Es sollte DIE Einwechslung in der Handballgeschichte werden. Die Russen haben keine Ahnung wer dieser Mann überhaupt ist, wissen nicht was er kann. Waltke sieht seine Chance gekommen und nimmt die Abwehr vor Torwartlegende Istchenko auseinander.

14:12, 15:12 und noch das 16:12. Die 2000 deutschen Schlachtenbummler sind schier aus dem Häuschen. 4 Tore Vorsprung und es sind nur noch knapp 15 Minuten zu spielen. Dann hat wieder der Unberechenbare Stenzel seinen Aftritt. Als hätte er gerade gar nicht realisiert, welchen unglaublichen Lauf Waltke hat, gibt er das Zeichen zum erneuten Wechsel. Ehret kehrt zurück, Held Waltke muss wieder auf die Bank.

Die Sputniks haben den Ball

Die UDSSR gibt sich nicht geschlagen. 16:14, 18:15, der Abstand wird wieder verkürzt. Dann die 56. Minute. Ehret fängt auf seiner Außenposition einen Angriff ab, tippt mit dem Ball, macht kurze schnelle Schritte und spielt den Ball dann in die Mitte zu Heiner Brand. Der dreht sich, schaut und sieht seinen Kapitän Horst Spengler, der im Eiltempo nach vorne läuft. Spengler bekommt den Pass von Brand, prellt noch einmal. Maksimov versucht den Deutschen noch zu behindern, doch Spengler hebt ab, fliegt in den Kreis und an Torhüter Istchenko vorbei und trifft. Nach der Landung rutscht er in die Werbebande und reißt siegessicher schon die Arme hoch.

Doch noch sind es 4 Minuten zu spielen. 20:16 für Brand, Deckarm & Co.. 20:17, 20:18, 20:19. Die letzten Sekunden laufen, die Sowjets sind im Ballbesitz. Ihre letzte Chance den Ausgleich zu erzielen. Die Spannung in der Bröndbyhalle ist spürbar. Anspannung in der deutschen Abwehr. Gassij bekommt den Ball, nimmt ein paar Schritte Anlauf, steigt zum Sprungwurf hoch. Deckarm springt mit gestreckten Armen ebenfalls ab, aus der Mitte fliegt Kurt Klühspies regelrecht heran, um den womöglich entscheidenden Wurf zu blocken. Gassij trifft nur den Arm von Jo Deckarm, der Ball prallt ab, geht weit ins Seitenaus. Dann der erlösende Abpfiff.

Der Vater des Erfolges: Vlado Stenzel. – Foto: imago / Sven Simon

16:48 Uhr. Deutschland ist Weltmeister. Das jüngste Team dieser WM tollt über das Feld wie kleine Kinder. Die Stenzel-Schützlinge hüpfen, schreien und jubeln. Auf der anderen Seite geht Iljin direkt auf den Schützen des letzten Wurfes zu und tröstet seinen Kameraden. Die deutsche Freude dagegen ist grenzenlos. Die Sensation ist geschafft.

Stenzels Krönung

Inmitten des Gewühles aus Spielern, Betreuern und Fans kommt es dann zur eigentlichen Krönung dieses Turniers, noch vor der eigentlichen Siegerehrung. Vlado Stenzel wird die goldene Krone aufgesetzt, die irgendeiner aus Pappe angefertigt hat. Auf Schultern getragen war der Mythos des Magiers und eine Handvoll neuer Helden geboren. Es waren die tollen Tage von Kopenhagen an diesem 05. Februar 1978. (anhe)

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