Glücksmoment: Kapitän Markus Baur mit der WM-Trophäe
Glücksmoment: Kapitän Markus Baur mit der WM-Trophäe – Foto: imago images / Sven Simon

Sportart: 

Handball

Anlass: 

XX. Weltmeisterschaft 

Datum: 

19. Januar – 04. Februar 2007 

Motto: 

Celebrate The Game 

Gastgeber: 

Deutschland 

Titelverteidiger:

Spanien

Spielorte:

Köln, Hamburg, Mannheim, Dortmund, Lemgo, Wetzlar, Stuttgart, Halle/Westfalen, Magdeburg, Bremen, Kiel, Berlin

Finale: 

Deutschland – Polen

Ergebnis: 

29:24 (17:13)

Zuschauer: 

19.000 in der Kölnarena

Die Handball-WM 2007 in Deutschland entwickelte sich schnell zum viel umjubelten Wintermärchen. Gekrönt wurde am Ende das Team des Gastgebers. Heiner Brand und seine Mannschaft schaffte das Unmögliche und wurde Weltmeister.

Dass der 23. April 2004 ein wichtiger Tag in der Geschichte des Deutschen Handballs war, konnte jedem Beteiligten, jedem Fan dieser faszinierenden Sportart schnell klar werden. Der Rat der IHF (Internationale Handball Federation) vergab in Basel die XX. Handball-Weltmeisterschaft an Deutschland. Für den damals frischgebackenen Europameister die große Chance, sich der Welt zu präsentieren.

Knapp 3 Jahre hieß es nun, auf dieses große Ziel „WM im eigenen Land“ hinzuarbeiten. Nicht nur für Bundestrainer Heiner Brand und seine Mannschaft, auch für den DHB, um Präsident Ulrich Strombach und sein Organisationskomitee. Man wollte den Handball populärer machen, ihn näher an den Volkssport Nummer 1 Fußball heranbringen. Nun, ob Fluch oder Segen, lag 2006 das Großereignis schlechthin vor einheimischen Türen.

Franz Beckenbauer hatte die Fußball-WM 2006 nach Deutschland geholt. Die Welt war eingeladen „Zu Gast bei Freunden“. Es entwickelte sich das legendäre „Sommermärchen“ und keiner dachte zu diesem Zeitpunkt im Sommer ´06 an die nahende Handball-WM. Zu mächtig erschien König Fußball, zu mächtig die Euphorie, die sich um die Nationalmannschaft von Jürgen Klinsmann und Jogi Löw aufgebaut hatte. Ein ganzes Land war auf einmal „Schwarz-Rot-Gold“ im Fußballfieber.

Das Plakat zur Heim-WM 2007 – Einladung an alle Fans, den Handball und die WM gemeinsam zu feiern.

„Projekt Gold 2007“

Dementsprechend unbemerkt begann für Brands Team dann auch die Vorbereitung auf die Welttitelkämpfe, die vom 19. Januar – 04. Februar 2007 Handball-Fans in Atem halten sollte. Heiner Brand, als Spieler Weltmeister 1978, auch als Trainer längst zur Ikone aufgestiegen, versuchte so gut es ging, den aufkommenden Vergleichen aus dem Wege zu gehen. Rückblicke auf „seinen“ WM-Triumph von Kopenhagen waren nicht sein Ding, wollte er damit auch seine Jungs um Kapitän Markus Baur nicht langweilen. Ob es denn jetzt ein Wintermärchen geben würde, beantwortete er achselzuckend: „Ich kann im Januar kein Sommermärchen garantieren. Aber ich kann garantieren, dass wir bei jedem Auftritt Volldampf geben.“

Offenbar war diese Überzeugung auch aus dem Team heraus geboren. Als sich der erweiterte WM-Kader im Sommer ´06 zu einem Lehrgang traf, da gaben die Spieler sich ihr Ziel selbst an die Hand: „Projekt Gold 2007“ stand auf ihren gedruckten T-Shirts. Die Botschaft klar und eindeutig: „Wir wollen den Titel im eigenen Land.“ Für den ehemaligen Handball-Nationalspieler Jörg Löhr, der als Motivationstrainer zum Stab von Brand gehörte, war dies ein wichtiger Schritt. Immer wieder verdeutlichte er den Spielern, welch unglaublich große Chance sie haben und worauf es ankommt. Der Leitsatz lautete: „Der WM-Erfolg führt nur über das TEAM“. Eine Tatsache, die sich schon für den EM Triumph 2004 verantwortlich zeichnete. Teamgeist war das Zauberwort. 

Trotzdem war dem Trainer aber auch aus der Vergangenheit klar, dass „jede Mannschaft Spieler braucht, die über allen anderen stehen, sonst funktioniert keine Mannschaft“. Das Motto blieb bestehen: „Einer für alle – alle für einen“. „Was uns alle verbindet, ist dieses große Ziel. Wir ziehen alle an diesem Strang und laufen in eine Richtung“, formulierte Abwehrchef Oliver Roggisch das Einheitsdenken. Und mit positiven Signalen und Omen stimmte Chef Heiner seine Mannen weiter ein. So reiste die Nationalmannschaft zu einem Lehrgang ins österreichische Ampflwang. Samt Frauen und Freundinnen. Genau so hatten sie es bereits vor dem EM-Triumph 2004 gemacht. Nichts sollte bei „Projekt Gold“ dem Zufall überlassen werden.

Verletzungsorgen in der WM-Vorbereitung

Nachdem die Fußballer bei der WM ihren Traum vom Titel ausgeträumt hatten, wagte man sich beim DHB nun auch an die Präsentation der eigenen WM. Mit einer Road-Show durch alle Städte Deutschlands, die WM-Spiele austragen durften, begann die heiße Phase. Heiner Brand, ohnehin einer der bekanntesten Handballer des Landes, wurde vor den PR-Karren gespannt und wurde zweifelsohne zu DEM Gesicht der Weltmeisterschaft. Für den ehemaligen Nationalspieler und Paradiesvogel Stefan Kretzschmar war Brands Werbetour logisch: „Heiner ist eine Lichtgestalt und war der einzige Star dieser Mannschaft. Er hat über allen geleuchtet und so den Druck von den Spielern genommen.“

Trotzdem wuchs der Druck natürlich unaufhaltsam. Zum einen durch die Erwartungshaltung der eigenen Fans, zum anderen aber auch wegen einer wieder einmal sehr schwierigen Vorbereitungsphase. Besonders tragisch war sicher der Ausfall von Jens Tiedtke. Der Kreisläufer aus Großwallstadt stand vor dem schwersten Kampf seiner Karriere. Operativ wurde bei ihm ein Gehirntumor entfernt. Mit Erfolg und wichtiger als alle Handballtitel dieser Welt. 

Andreas Thiel, ehemaliger „Hexer“ zwischen den Pfosten, formte aus Henning Fritz und Johannes Bitter ein Team im Team. – Foto: DHB

Aufgrund von Verletzungen und Blessuren fehlte dem Bundestrainer teilweise fast die Hälfte seines Kaders. An eine reibungslose Eingewöhnungsphase war kaum zu denken. Am 03. Januar 2007 begann das letzte Trainingslager vor der WM und 10 Tage vor dem Eröffnungsspiel las sich die Verletztenliste wie das „Who is who“ des deutschen Handballs: Andrej Klimovets, Thorsten Jansen, Sebastian Preiß, Oleg Velyky, Holger Glandorf, Markus Baur, Rolf Hermann und Florian Kehrmann waren teils mehr, teils weniger angeschlagen. Heiner Brand war der Verzweiflung nahe: „Das ist doch nicht mehr auszuhalten. Nimmt diese Verletzungsmisere denn nie ein Ende?“

Ein „Hexer“ für den „alten Fritz“

Zur illustren Runde der ganzen Verletzten gesellte sich zudem ein Sorgenkind der ganz anderen Art: Torhüter Henning Fritz. 2004 Europameister und als erster Torwart zum Welthandballer des Jahres gewählt, befand sich in einem Leistungsloch, dass tiefer gar nicht hätte sein können. Vor dem wohl wichtigsten Turnier seiner Karriere wurde der Keeper vom THW Kiel von seinem Trainer Noka Serdarusic degradiert. Hinter dem französischen Weltklassetorhüter Thierry Omeyer und dessen Ersatz Mattias Andersson war Fritz nur dritte Wahl. Sein Auftreten war dementsprechend. Negativ, geknickt und immer nur auf der Suche nach eigenen Fehlern.

Obwohl Brand sich bewusst war, dass er nur mit einem überragenden Gespann zwischen den Pfosten etwas erreichen konnte, entschied er sich für Fritz, setzte auf die Karte „Vertrauen“ und hoffte inständig, dass Torwarttrainer Andreas Thiel seine Nummer 1 wieder auf Weltklasseniveau führen kann. Neben ihn stellte er Johannes „Jogi“ Bitter vom SC Magdeburg als zweiten Mann. Es bildete sich ein Team im Team. Kein Neid, keine Missgunst. Und im Gegensatz zu den hochbezahlten Kollegen der Fußballnationalmannschaft gab es kein mitleidvoll, lächerliches Theater wie zwischen Jens Lehmann und Oliver Kahn. Im Gegenteil: „Ich akzeptiere ihn immer noch als Lehrmeister. Wenn ich ihm von außen etwas sage, glaubt er mir das. Das zeigt seine Größe“, beschreibt Bitter sein Verhältnis zur Nr. 1.

Ein ganz anderes Problem haben viele Experten und Ehemalige kurz vor dem Startschuss ausgemacht. Die Vermarktung und Promotion. Wenige Stunden vor dem ersten Anpfiff wussten viele der Befragten Bundesbürger gar nicht, dass eine WM im eigenen Land stattfindet. Lediglich 12,8% waren laut einer Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts im Bilde. Handball-Legenden wie Erhard Wunderlich und Frank-Michael Wahl, aber auch Manager Bob Hanning, selbst WM-Botschafter für die Stadt Berlin, bemängelten und kritisierten die Präsentation dieses großen Events. Nichtsdestotrotz belegten zumindest die Zahlen der verkauften Eintrittskarten eine enorme Begeisterung bei den Fans.

„Die Gefahr des Beeindrucktseins“

Aber würde dies reichen, einen ähnlichen Hype zu entfachen, wie in diesem legendären Sommer 2006? Würden Public Viewing und Fanpartys die Handball-WM zu einem Fest machen? Vieles, und da waren sich alle einig, würde am Auftreten und Abschneiden der deutschen Mannschaft hängen. „Vom Abschneiden des Gastgebers hängt viel ab bei dieser WM“, offenbarte IHF-Präsident Dr. Hassan Moustafa. Der Druck wuchs weiter.

Dies störte die Nationalmannschaft aber alles nicht mehr. Im Sportparkhotel der Gerry-Weber-Arena in Halle/Westfalen bereiteten sie sich auf ihr Eröffnungsspiel gegen Brasilien vor. Für Heiner Brand ging es in den letzten Tagen vor der Abreise nach Berlin darum, die Konzentration hochzuhalten. 2 Tage noch und Brand merkte wie schwierig diese Aufgabe war.

Beim Training in der Gerry Weber Arena war er mit den Leistungen seiner Schützlinge unzufrieden. Zudem wurden die letzten beiden Testspiele gegen Ägypten verloren. „Damit werden wir auf die Schnauze fallen, wenn wir das nicht ganz schnell abstellen“, raunzte er ob der laschen Einstellung und der vielen Flüchtigkeitsfehler bei dieser Übungseinheit. Zudem machte er sich Gedanken über die möglichen mentalen Fallen, die eine WM im eigenen Land für sein Team bereithalten könnte: „Die Gefahr des Beeindrucktseins ist sicherlich gegeben“, orakelte ein vorsichtiger Cheftrainer.

„Wenn nicht jetzt, wann dann….“

Am 18. Januar stand dann endlich die Reise nach Berlin auf dem Programm. Auch wenn Orkantief „Kyrill“ seine Kreise über Deutschland zog, mutete der Weg per ICE in die Hauptstadt eher wie die Ruhe vor dem großen Sturm an. Zwar mit stürmischer Verspätung eingetroffen, dafür fast unbemerkt konnten sich die Nationalspieler bewegen. Mal ein Foto hier, ein Autogramm dort. Große Begeisterung war nicht zu spüren. Noch nicht.

Und wieder stand der Vergleich zum Sommermärchen. „Dieser Weg wird kein leichter sein“ transportierte Xavier Naidoo. Es war der Hit der Fußballer, umso passender für die Handballer in diesen Stunden vor der Eröffnung. Dabei hatten sie ihren ganz eigenen WM-Song in der Tasche, der vielleicht noch passender, weil viel optimistischer die Situation der Stars heraufbeschwor: „Wenn nicht jetzt, wann dann….Es ist Zeit, Komm wir nehmen das Glück in die Hand“ von der Kölner Gruppe „Höhner“ drückte aus, was alle Fans von Fritz, Hens & Co sich wünschten.

Die abschließende Pressekonferenz war gut besucht, aber ein Medienhype war auch hier noch nicht auszumachen. Ein ungewohntes Bild war sicher die Präsenz des arabischen TV-Senders Al Jazeera, der umfangreiche Berichterstattung plante und zudem auch als Sponsor dieser WM auftrat. Unaufmerksame, vielleicht sogar humorlose Zuhörer, gerieten bei dieser PK in Gefahr, den ersten Skandal schon vor dem ersten Anwurf zu wittern. Horst Bredemeier, Vizepräsident des DHB, wollte gerade die Fragerunde beenden, da sprudelte folgender Satz aus ihm heraus: „Wenn wir soweit fertig sind, können wir Heiner Brand jetzt entlassen.“ Kaum ausgesprochen reagierte ein schlagfertiger Bundestrainer: „Schon vor der WM?“ Der Witz verdrängte auch bei Brand für kurze Zeit die Anspannung. Grinsende Gesichter sorgten für Auflockerung.

Dann endlich war der Tag gekommen. Am 19. Januar um 17:16 Uhr eröffnete Bundespräsident Horst Köhler in einer ausverkauften Max-Schmeling-Halle die XX. Handballweltmeisterschaft. Bei der letzten Teambesprechung schwört Brand seine Männer noch einmal ein auf die größte und längste WM aller Zeiten. 17 Tage, 92 Spiele, Hochspannung pur. „Spaß haben am Kampf, am Miteinander, am Erfolg“, so die Message für die Mannschaft. Kurz, knapp, und vor allem den Punkt treffend. Für die Fans aus aller Welt hörte sich das WM-Motto so an: „Celebrate the Game“.

Gefeiert wurde an diesem Tag auch ein nie vergessenes Idol. Joachim „Jo“ Deckarm feierte zusammen mit den 10.000 Zuschauern seinen 53. Geburtstag. Das lautstarke Ständchen für den ehemaligen Weltklasse-Handballer, der seit seinem schweren Sportunfall 1979 pflegebedürftig ist, gehörte zweifelsohne zum ersten richtigen Gänsehautmoment dieser WM.

„Ganz ruhig, meine Nerven flattern auch.“

Als es auch für die Aktiven losging, stieg zwar die Konzentration, aber auch die Anspannung. Linksaußen Dominik Klein marschierte mit einem kleinen Jungen an der Hand in die Arena und fragte ihn, ob er denn nervös sei? Das zittrige „Ja“ des Kleinen beantwortete der Youngster der Nationalmannschaft zur Beruhigung des Jungen: „Ganz ruhig, meine Nerven flattern auch.“

Knapp 80 Minuten später strich sich der Bundestrainer mit einem leichten Grinsen durchs Haar, setzte sich und hielt die Hand vors Gesicht. Gesten der Erleichterung nach dem 27:22 (12:10) Auftakterfolg über Panamerikameister Brasilien. „Gewonnen, egal wie“ mochten sich die Fans gedacht haben, ebenso wie die gesamte DHB-Auswahl. „Die Mannschaft war unsicher, spielte zu viele Risikopässe und muss mehr Geduld haben. Wir haben gewonnen, das ist positiv. Aber wir müssen uns noch in sehr vielen Bereichen steigern“, erklärte Brand nach einer Partie, in der seine Mannschaft die engagiert und couragiert aufspielenden Südamerikaner niedergekämpft hatte. Respekt hatte sich die Nationalmannschaft bei ihren Konkurrenten um den Titel allerdings nicht erspielt. Für Ärger sorgte der rutschige Boden der italienischen Firma Mondo, der für zahlreiche Ausrutscher auf den Werbeflächen nahe der Angriffszonen sorgte.

Zurück im Mannschaftsquartier in Halle begann die Aufarbeitung der eigenen Leistung und zugleich die Vorbereitung aufs zweite Vorrundenspiel gegen Argentinien. Mit einem Sieg, das stand fest, war der Einzug in die Hauptrunde in trockenen Tüchern. Doch schon vor Anpfiff erreichten die Fans die nächsten Hiobsbotschaften. Michael „Mimi“ Kraus musste wegen eines leichten grippalen Infekts bereits im Vorfeld passen und Kreisläufer Andrej Klimovets zog sich in der Aufwärmphase eine Wadenverletzung zu, die ihn für einige Tage Schach Matt setzen sollte. Gerade dieser Ausfall sollte für den weiteren Verlauf des Turniers enorme Folgen haben. Den positiven Anfang dieser Folgen machte in dieser Partie gegen Argentinien Klimos Ersatz Sebastian Preiß, der mit 5 Toren zum „Man of the Match“ gewählt wurde. Insgesamt präsentierte sich der DHB verbessert und siegte haushoch überlegen mit 32:20 (17:11). Das Minimalziel „Hauptrunde“ war somit erreicht und auch die 11.000 Fans in der Gerry Weber Arena liefen langsam auf WM-Touren. „Wir haben in allen Bereichen noch Steigerungsbedarf“, analysierte Brand.

„Back in Black“ – Das Comeback von Christian Schwarzer

„Blacky“ Schwarzer war zurück. Ein Mosaikstein auf dem Weg zum Titel – Foto: imago / Horstmüller

Inzwischen leistete die medizinische Abteilung um Mannschaftsarzt Dr. Berthold Hallmaier und Physiotherapeut Peter Gräschus Akkordarbeit. Regeneration für die eingesetzten Spieler und vor allem die Behandlung des verletzten Klimovets, Diagnose Muskelfaserriss, ließen am Abend dieses 21.01.2007 den Betreuerstab rotieren. Schnell war klar, dass Klimovets, eine Stütze der Mannschaft, für das abschließende Vorrundenspiel gegen Polen auszufallen drohte. Zwar ging es gegen die vom ehemaligen Bundesliga- und deutschen Nationalspieler Bogdan Wenta trainierten Polen „nur“ um die bessere Ausgangsposition für die Hauptrunde, dennoch sah sich Brand unter Druck und Zugzwang gesetzt.

Zusammen mit seinem Co-Trainer Martin Heuberger besprach der Chef das weitere Vorgehen. Bis zum nächsten Morgen 10 Uhr, so glaubte man in Reihen der sportlichen Leitung, ist Zeit für eine eventuelle Nachnominierung. Als Journalisten vom personellen Dilemma erfuhren, sprachen sie DHB-Pressewart Charly Hühnergart auf eine mögliche Reaktivierung des Routiniers Christian Schwarzer an. Da war es schon kurz vor 22 Uhr, aus Sicht des DHB schon kurz vor 12, denn die Frist für eine Nachnominierung sollte in wenigen Minuten ablaufen. Daraufhin eilte Hühnergart zu Brand, bereitete den Antrag vor und überreichte um kurz vor 10 am Abend der IHF den Zettel. Schwarzer, der für das ZDF als TV-Experte die WM verfolgte, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Wenige Wochen zuvor, als die Kollegen schwitzten und sich auf das Projekt Gold vorbereiteten, besuchte der bullige Kreisläufer des TBV Lemgo in Dallas/USA seinen Freund Dirk Nowitzki. Das er zu WM-Ehren als Spieler kommen würde, daran war nicht zu denken, obwohl ihn Brand in seinen erweiterten Kader hatte melden lassen, der für den möglichen Einsatz berechtigte.

„Blacky“ Schwarzer saß gerade im Auto und war nach dem Argentinien-Spiel auf dem Heimweg, als sein Handy klingelte. Kurz teilte Brand ihm mit, dass er gemeldet sei. Ohne auch nur annähernd zu zögern, ohne großes Aufhebens stand er am nächsten Morgen auf der Matte. Schwarzer war zurück. Welch Ausmaß dieser Anruf von Brand haben sollte, bekam eine ganze Nation in den folgenden Tagen zu spüren. Sicher gab es auch Zweifler an der Rückkehr. Denen nahm Brand jedoch jeglichen Wind aus den Segeln: „Wenn man so gut ist wie Christian, dann kann man eine WM auch ohne Vorlauf bestreiten“ und der jüngste im Team, Dominik Klein, drückte aus, was alle Mitspieler dachten: „Es ist so, als wäre er nie weggewesen.“ Dabei lag sein letzter Auftritt mit dem Bundesadler auf der Brust ganze 825 Tage zurück. Kreise müssen sich schließen und so wählte der alte und neue Nationalspieler als Rückennummer die „41“. Die Nummer des Kumpels und Superstars der NBA, Dirk Nowitzki.

Der DHB sieht ROT

Aber auch Schwarzer konnte die Niederlage gegen Polen nicht verhindern. 25:27 (12:14) hieß es am Ende einer hart umkämpften Partie, in der die Auswahl um die Bundesliga-Stars Gregorz Tkaczyk, Karol Bielecki und Mariusz Jurasik am Ende bissiger war. Deutschland sah gegen Ende für Oliver Roggisch und Markus Baur 2x Rot und war der Verzweiflung nahe. Zwar verwandelten die Fans die ausverkaufte Arena in Halle in einen Hexenkessel, doch Polen behielt die Nerven und feierte diesen Prestigesieg ausgiebig.

Wentas Psychotricks gingen auf. Um seinen Spielern die Nervosität zu nehmen, ging er mit seinem Team und einem Maßband bewaffnet die Halle ab, demonstrierte so, dass Handball hier genauso gespielt wird, wie an jedem anderen Ort dieser Welt. Der Mythos WM wurde so ein wenig kleiner und Polens Asse wuchsen über sich hinaus.

Bei Fritz & Co. indessen war der Knoten noch nicht geplatzt, das Warten auf einen so wichtigen AHA-Effekt ging weiter. Es fehlte ein Zeichen, um den ganz großen Wurf zu erzielen. Der Hoffnungsfunke Schwarzer zündete in diesen 60 Spielminuten noch nicht das Feuer, noch nicht. In der Kabine herrschte Totenstille. Nach und nach schlichen die Spieler mit hängenden Köpfen herein und lediglich einzelne Flüche und Worte der Frustration durchbrachen dieses lähmende Entsetzen. Als hätte er den Zeitpunkt ganz bewusst gewählt, stand der „alte“ Mann mit der Nr. 41 auf und redete seinen Mitspielern ins Gewissen: „Es ist doch nichts passiert. Erinnert euch, wir haben schon mal ein Spiel in der Vorrunde verloren. Danach sind wir Europameister geworden.“ Die Köpfe hingen immer noch gen Boden, aber diese Sätze sollten die vielleicht wichtigste Ansprache dieser WM werden.

Die „Pizza-Affäre“

Am Abend sorgte wenigstens die Geburtstagstorte für Markus Baur zu seinem 36. Geburtstag für etwas Aufmunterung. Aber dem Team, jedem Einzelnen war deutlich anzumerken, dass die Niederlage schmerzte. „Ich war ein bisschen erschrocken, wie niedergeschlagen die Mannschaft nach der Niederlage war“, fasste Schwarzer seine Eindrücke zusammen. Für die bevorstehende Hauptrunde hieß das Motto nun „Kopf hoch“. Mit einer Niederlage und ohne Pluspunkte ging man in die Spiele gegen Slowenien, Tunesien, Frankreich und Island. Aber auch Brand war klar, dass sie alles selbst in der Hand hatten. Mit dem Rücken zur Wand musste sich das wahre Gesicht dieses eingeschworenen Teamgeists zeigen. Jeder war nun in der Verantwortung. Auch Fritz, der zwar ansteigende Form zeigte, jedoch noch nicht dieser Teufelskerl zwischen den Pfosten war, der vom Titel träumen ließ. Doch nicht nur Deutschland hatte so seine Probleme richtig ins Turnier zu finden. Mit Ausnahme von Kroatien, die souverän ihre Kreise zogen, hatten auch Frankreich, Spanien und Russland ihre liebe Mühe zu ihrer Topform zu finden.

Hatte Heiner Brand stets die Disziplin und das Verhalten seiner Spieler gelobt, so wurde er am Abend vor dem wichtigen Slowenien Spiel bitter enttäuscht. Als alle nach dem Abendessen auf ihr Zimmer entschwanden, rauschte dem völlig überraschtem Brand der Pizzabote in die Arme. Fassungslos ob dieser „Jugendfreizeit-Mentalität“ sorgte die Ansprache am nächsten Morgen für einen kurzen, knappen Rüffel, der es auch ohne viele Worte in sich hatte. „So eine Aktion vor dem wichtigsten Spiel eurer Karriere kann ich nicht verstehen. Aber darauf könnt ihr mir heute Abend eine Antwort geben“, raunzte er seine Mannen an. Laut wurde er nicht, doch seine leise, bestimmende Art führte zur erhofften Reaktion. Der Knoten sollte bereits gegen Slowenien, beim letzten Auftritt in Halle, platzen.

Spiel 1 in der Hauptrunde brachte die WM auf eine neue Emotionsstufe. Pascal Hens übernahm Verantwortung, erzielte 9 Treffer, und die deutsche Deckung um Oliver Roggisch arbeitete vorbildlich. Der Knall jedoch wurde vom Mann dahinter gezündet. Als Henning Fritz nach knapp 45. Minuten einen Siebenmeter gegen Sloweniens Star Siarhei Rutenka hielt, und ihn anschließend mit einem Hechtsprung auch noch beim Nachwurf blockte wie ein Basketballer, da wurde eine Lawine an Emotion, Feuer und Energie losgetreten, die das Zeichen war, das die Mannschaft, aber auch das ganze Land brauchte. Deutschland sprudelte auf einmal voller Selbstvertrauen und riss alle in seinen Bann. 11.000 Fans waren aus dem Häuschen. Die DHB-Auswahl wählte für sich nun die geballte Faust und nicht mehr die gesenkten Köpfe.

Umzug in die gute Stube des Handballs

„Ich hatte darauf gehofft. Die Mannschaft hat heute ein Spiel hingelegt, wie man es sich als Trainer nur wünschen kann“, war Brand begeistert nach dem 35:29 (17:14) Erfolg. Auch Christian Schwarzer hatte den Beweis angetreten, warum er so enorm wichtig für das Team war. Lautstark feuerte er seine Kollegen an, lebte immer wieder vor, was er ihnen sagte und behauptete sich als Turm in der Brandung. „In der Mannschaft sind viele Spieler, die zu ihm aufschauen. Das hat positive Auswirkungen“, erklärte Brand und fügte hinzu: „Es muss Spieler geben, die über allen anderen stehen. Sonst funktioniert keine Mannschaft.“ Zwar hatte Brand mit Markus Baur schon den Kopf und quasi verlängerten Arm, doch mit Schwarzer bekam die Gemeinschaft eine noch viel größere Qualität. Das mit Dominik Klein sich ein Youngster als Pizza-Fan outete, spielte jetzt keine Rolle mehr. Jetzt hatte jeder nur noch Appetit auf den Titel.

Nach dem Auftritt wunderte es nicht, dass das Selbstvertrauen weiter wuchs. Ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem Weg zum allseits erhofften „Wintermärchen“ war der Umzug in eine andere Halle. Die folgenden Spiele der deutschen Auswahl fanden in der Dortmunder Westfalenhalle statt. Nicht nur für Heiner Brand, der mit dem VFL Gummersbach große Erfolge in dieser alt-ehrwürdigen Halle feierte, ein ganz besonderer Ort. Es war der Umzug in das Wohnzimmer des deutschen Handballs. Die Gastgeber waren angekommen in der guten Stube ihres Sports. Natürlich wuchs der Druck weiter. Hoffnung, dass die Mannschaft sich weiter würde steigern können, war nun überall spürbar.

Gegen Tunesien feierte dann ein Mann seine Auferstehung. Henning Fritz lieferte eine Weltklasseleistung ab und zahlte das ganze in ihn gesetzte Vertrauen zurück. „Die Schützen haben wieder Angst vor ihm“, vermochte Rechtsaußen Florian Kehrmann zu erkennen. Seine geballte Faust, die zuvor gestelzt und aufgesetzt wirkte, demonstrierte endlich wieder diese Kraft und Ausstrahlung, die Fritz lange Zeit vorher zum weltbesten Keeper hatte werden lassen. Auf einmal zeigte auch Christian Zeitz vom THW Kiel was in ihm steckte. Der Linkshänder, als unberechenbarer Rückraumschütze geliebt und gefürchtet traf siebenmal ins Tor. 35:28 (19:11) bedeuteten einen weiteren Schritt Richtung Viertelfinale. Unser Phönix aus der Asche Henning Fritz wurde zu Recht „Man of the Match“. Er war wieder da, der „alte“ Fritz. „Da kommt wieder Stärke aus seinen Augen“, erkannte nicht nur Heiner Brand. „Seine Mimik, seine Gestik, seine ganze Körpersprache zeigt, dass Henning wieder zurück ist.“

„Mimi“ Kraus wurde gegen Frankreich zum Matchwinner. Hier hat Frankreichs Superstar Nikola Karabatic das Nachsehen. – Foto: imago / Laci Perenyi

Der „Bravo Boy“ wird erwachsen

12.000 Fans brachten im Spiel gegen Frankreich die Westfalenhalle zum Kochen. Voller Überzeugung, Einheit demonstrierend standen Deutschlands Handballer Arm in Arm bei der Nationalhymne. Oliver Roggisch war leicht angeschlagen, aber ihn störte das vermutlich am wenigsten: „Die Verletzung, die mich zwingt bei dieser WM ein Spiel zu verpassen, die muss noch erfunden werden.“ Frankreich war Favorit, keine Frage. Als dann auch noch Markus Baur nach knapp dreieinhalb Minuten mit einem Muskelfaserriss in der Wade ausfiel, kniffen einige nur noch die Augen zu. Ohne den Regisseur gibt’s auf die Ohren, schienen einige zu denken.

Doch wieder kam alles ganz anders. Brand schickte Mimi Kraus aufs Parkett. Zwar spielte der Baur-Ersatz schon bei der EM ein Jahr zuvor auffällig gut, doch das war den Franzosen anscheinend entgangen. Mit extrem schnellen Antritten, dem richtigen Blick für die Lücken in der französischen Abwehr düpierte der Shootingstar die gestandenen Weltstars fast im Alleingang. Der „Bravo Boy von 2000“ ist erwachsen geworden. Inzwischen auch unter den Augen der ganzen Nation. Immer größer wurde das Interesse. Das WM-Fieber ist spätestens nach diesem 29:26 (14:9) Erfolg ausgebrochen.

Auch Henning Fritz spielte erneut groß auf, und entschied mit einer überragenden Leistung das hochstilisierte Duell gegen seinen Vereinskollegen Thierry Omeyer für sich. „Großes Kompliment an die gesamte Mannschaft. Wie sie sich im Verlaufe des Turniers entwickelt hat, ist erstaunlich“, lobte Brand. „Oh wie ist das schön“ schallte es noch lange nach Ende durch die Halle. Das Viertelfinale war erreicht. Jetzt war alles möglich. Nach der mäßigen Vorrunde gehörte Deutschland noch zu den Wunschgegnern der meisten Viertelfinalaspiranten. Die Wünsche verstummten mit jeder weiteren Minute, die das DHB-Team sich präsentierte.

Treffen alter Bekannter im Viertelfinale – Die Kölnarena bebt

Mittlerweile kramte jeder Schwarz-Rot-Goldene Fahnen hervor, die nach dem Sommermärchen in den Kellern verschwunden waren. Das Spiel gegen Island zum Abschluss der Hauptrunde geriet zum Schaulaufen. 33:28 (17:11) lautete das Ergebnis eines souveränen Spiels der Brand Truppe. Das Viertelfinale zwang zum Umzug in die größere Kölnarena. Gegner Spanien konnte sich auf einen heißen Tanz vorbereiten.

Überall Fahnen, angemalte Gesichter und inbrünstiges Mitsingen der Hymne. Die Euphorie war wieder da. Die Einschaltquoten schnellten in die Höhe und jeder interessierte sich auf einmal für diesen faszinierenden Sport, der zumindest für kurze Zeit den großen Bruder Fußball in den Schatten stellte. „Spätestens seit der Hauptrunde gibt es in unserer Zentrale einen erheblichen Mitarbeiterschwund, sobald sich die Anwurfzeit unseres Teams nähert“, berichtete DFB-Präsident Theo Zwanziger vom Handballfieber in seinen Reihen.

Im Viertelfinale kam es dann zum Kräftemessen zwischen Gastgeber und Titelverteidiger. Deutschland gegen Spanien ließ die Herzen der Fans schon im Vorfeld höher schlagen. 19.000 Zuschauer in der natürlich ausverkauften Kölnarena waren glücklich dabei sein zu können. Mittlerweile stiegen die Preise für Tickets auf dem Schwarzmarkt und bei ebay in unerwartete Höhen. Es war das Treffen zweier guter alter Bekannter. Bei 49. vorherigen Auseinandersetzungen lautete die Bilanz ausgeglichen. 22 Siege standen 22 Niederlagen gegenüber, bei 5 Unentschieden. Besonders ein Moment bleibt allen Beteiligten auf Ewig in Erinnerung. Der Moment als beide Teams bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 gegeneinander antraten. Nach einer wahren Nervenschlacht im Viertelfinale gegen bärenstarke Spanier brauchte es einen Hexer, um die Vorschlussrunde zu erreichen. Nach zweimaliger Verlängerung und ca. 30 parierten Würfen der Spanier steigerte sich Henning Fritz in den Duellen beim Siebenmeterwerfen noch einmal und wuchs über sich hinaus. 3 Siebenmeter konnte er halten, einer ging an den Pfosten. Schließlich verwandelte der Lemgoer Daniel Stephan den alles entscheidenden Wurf und sicherte den Halbfinaleinzug.

„Vor wem sollen wir uns verstecken?“

Nun trafen sie wieder in einem Viertelfinale zusammen. Auf dem Weg dahin überzeugte das Team von Coach Juan Carlos Pastor keineswegs. Sie hatten ihre Weltmeisterform noch nicht unter Beweis stellen können. Und inzwischen war den Iberern auch sehr bewusst, wie schwierig das Unterfangen gegen den zu Turnierbeginn lediglich als Außenseiter gehandelten Gastgeber Deutschland werden würde. „Sie spielen hier mit Herz und einem unglaublichen Einsatz. Mit Blut im Mund, wie wir in Spanien sagen – das hat mich schon überrascht. Sie sind ein gefährlicher Gegner“, unterstrich Spaniens Demetrio Lozano den Respekt vor dem Brand Team. Besonders vor einem Spieler hatten sie Bammel: „Wenn Henning Fritz so hält wie zuletzt, dann wird es für uns noch schwerer.“

Das deutsche Team hatte den Ausfall von Kapitän Markus Baur zu verkraften, der aufgrund seiner Wadenverletzung ausfiel. Auch für Oleg Velyky war die WM gelaufen. Der letzte Funken Hoffnung auf einen Einsatz hat sich für den verletzten Tophandballer zerschlagen. Doch als Motivator und Edelfan drückte er seinen Kollegen ganz fest die Daumen und sorgte für die nötige moralische Unterstützung, die im weiteren Turnierverlauf so wichtig sein sollte. Die körperliche Verfassung ließ von Tag zu Tag, mit jeder Spielminute nach. Doc Hallmaier reichte jedem, der wollte, Wasser mit Voltaren und anderen Schmerzmitteln, um die Qualen und Torturen weiter durchstehen zu können. Die Euphorie im Land linderte die Erschöpfung zusätzlich.

Nach dem Einzug in diesen Klassiker wollten Schwarzer & Co. keinen Zweifel mehr aufkommen lassen, wer Herr im Hause ist. „Vor wem sollen wir uns verstecken? Alle haben vor unserem Siegeswillen Angst“, blies Schwarzer zur Attacke. Heiner Brand war von allen wieder einmal am vorsichtigsten. Mit gewohnter Akribie bereitete er die Mannschaft vor. „Merkt Euch zwei Worte: Vor URIOS“, trichterte er seinen Jungs ein. Die Angst vor dem wuchtigen Kreisläufer der Spanier war bemerkenswert groß.

Der „alte“ Fritz

Der DHB erwischte einen glänzenden Start und zwang nach dem 6:3 von Florian Kehrmann die Spanier bereits nach 12 Minuten zu einer Auszeit. Zu verstehen war kaum etwas. Die Fans sorgten für eine Stimmung, die aus der Kölnarena ein Tollhaus werden ließ. Im weiteren Verlauf des Spiels demonstrierte Henning Fritz seine neugewonnene, alte Klasse und die Abwehr stand wie ein Bollwerk. Allerdings bewahrheitete sich die Ahnung Brands. Rolando Urios am Kreis war nicht zu bändigen. Hatte der Koloss mit seinen weit über 100 Kg einmal den Ball war es für die deutsche Hintermannschaft zu spät. 8 Tore erzielte er selbst, zudem holte er 5 Siebenmeter raus.

Allerdings war Urios an diesem Tag so etwas wie ein Einzelkämpfer. Seine Kollegen um Superstar Iker Romero nahmen den Kampf zwar auch an, fanden aber kaum zu ihrer spielerischen Linie. So erzielten sie nach 50:54 Minuten den 23:23 Ausgleich, doch Glandorf und Schwarzer erhöhten ihrerseits wieder auf 25:23. Fritz hielt in dieser Phase überragend und peitschte so das Publikum weiter auf. Auch von der Bank schwappte die Stimmung auf die Ränge. Immer wieder forderten die Spieler die Fans auf, noch mehr zu trommeln, zu singen und Lärm zu veranstalten.

Direkt hinter der Spielerbank saß Markus Baur. Der verletzte Spielmacher beobachtete das Spiel ganz genau und gab seine Eindrücke und Ratschläge direkt an Mimi Kraus weiter, wenn dieser bei seinen Angriff- Abwehrwechseln auf die Bank kam. Dagegen liefen die Diskussionen auf spanischer Seite anscheinend aneinander vorbei. Bei 59:04 Minuten nahm Pastor seine Auszeit. 2 Tore lag Spanien zurück, als ein Siebenmeter sie wieder heranbrachte. Wieder ein Krimi gegen Spanien, wieder war eine Verlängerung möglich.

„Toto“ Jansen wertvoller denn je

Nach Brands Auszeit waren noch 15 Sekunden zu spielen. Baur hatte von der Tribüne aus einem ganz simplen Spielzug zur Hand: „Einmal nach links, einmal nach rechts und oben auf die Tribüne schmeißen“. Seine Kollegen wählten einen eleganteren Weg, um die Zeit auszuspielen. Hens passte auf Jansen. Doch anstatt die Riesenlücke auf Linksaußen zu nutzen, spielte der Hamburger zurück zu Hens. Der HSV-Profi ging mit Zug auf die Abwehr los und im entscheidenden Moment legte er wieder auf Jansen ab. Gekonnt und cool versenkte dieser zum 27:25 Endstand.

Alles was danach passierte war Jubel und Glücksgefühl pur. Jeder umarmte jeden. Brand ballte die Fäuste und streckte die Arme gen Hallendach. Es war vollbracht, was keiner für möglich gehalten hatte. Deutschland zog ins Halbfinale ein. „Diese unglaubliche Unterstützung lässt die Müdigkeit vergessen. Wir spielen am Limit. Ohne die Zuschauer hätte es bestimmt schon den einen oder anderen Einbruch gegeben. Es war ein verdienter Sieg, ich bin glücklich“, sprach Brand in die Mikrofone. Bei „Blacky“ Schwarzer klang es noch etwas größer: „Ich spiele schon sehr lange Handball, aber das ist der absolute Wahnsinn.“

Das „Wintermärchen“ hielt nun Einzug in alle möglichen Berichte über die WM, speziell über die Deutsche Handballnationalmannschaft. Mittlerweile war es viel mehr als eine bloße Fortsetzung des Fußball-Sommermärchens der „Klinsmänner 2006“. Und auch beim DFB zeigte man sich nach dem Erreichen des Halbfinales begeistert und infiziert vom Handballvirus dieser tollen Tage von Köln. Fußball-Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff richteten einen öffentlich persönlichen Brief an ihre Kollegen des DHB. In dem Brief hieß es unter anderem: „19 000 Zuschauer in der Kölnarena und Millionen im ganzen Land sind hellauf begeistert. Ihr habt neue Maßstäbe in eurer Sportart gesetzt, eine Begeisterung erreicht, die noch nie da war. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass es nun gilt, weiter alle Kräfte zu bündeln, um das ganz große Ziel zu erreichen.“ Und weiter: „Zeigt weiter, was man mit absolutem Siegeswillen, fantastischem Teamgeist und harter Arbeit erreichen kann. Wir Fußballer drücken euch ganz fest die Daumen. Schafft das, was uns verwehrt blieb: Gewinnt das Halbfinale und werdet am Sonntag in Köln Weltmeister.“

Der traditionelle Einzug bei McDonalds

Die Anteilnahme glich einem Ritterschlag. Handball wurde endlich wahrgenommen und rückte immer mehr in den Fokus. Der Wille und die Moral dieser Mannschaft hatte das ganze Land mitgerissen. Das musste die Mannschaft dann auch erkennen, als für die Spiele in Köln der letzte Unterkunftswechsel auf dem Programm stand. Im beschaulichen Wiehl, unweit von Gummersbach gelegen, fand die Nationalmannschaft im Hotel „Zur Post“ ihr Finalquartier. Schon nach dem Sieg über Spanien trug das kleine Städtchen „Schwarz-Rot-Gold“ und war ganz auf Handball eingestellt. Als besondere Belohnung ging es nach dem Einzug ins Halbfinale aber mal wieder auf einen kulinarischen Abstecher zu McDonalds. Seit Jahren Tradition und Ritual, auch wenn der Bundestrainer kein großer Freund von Fast Food für seine Spieler ist.

Jedes Spiel war nun eine ganz besondere Herausforderung. War der Druck einige Tage zuvor schon groß, so war er spätestens jetzt kaum mehr in Worte zu fassen. Im ganzen Trubel war es jedoch immer wieder Brand, der scheinbar die Ruhe behielt. Nachdem Henning Fritz wieder in der Weltspitze angekommen war und die Fachleute, Fans und vor allem auch Gegner immer wieder aufs neue mit seinen „Wundertaten“ im Kasten überraschte, es keinen Superlativ mehr gab, der im Zusammenhang mit dem Kieler noch nicht bemüht wurde, da behielt Brand seine gewohnte oberbergische Coolness: „Ich nenne ihn einfach Fritze.“ Nicht mehr und nicht weniger.

Jetzt war es also „nur“ noch dieser eine Schritt, dieses letzte Stück bis zum Finale. Im Halbfinale einer WM gibt es keine leichten Spiele mehr, jeder Gegner ist absolute Weltklasse. Sicher könnte man meinen, dass Deutschland gegenüber Gegner Frankreich rein psychologisch gesehen im Vorteil war. Jeder hatte noch die Bilder der Hauptrundenpartie im Kopf, als die Franzosen quasi überrannt wurden und sich von einem überragendem Mimi Kraus haben überraschen lassen. „Ich wusste, wie gut er ist. Meine Mitspieler wussten dies scheinbar nicht“, sagte Bertrand Gille, französischer Kreisläufer in Diensten des HSV nach dem ersten Spiel.

Brand konnte sicher sein, dass sein Kollege Claude Onesta seine Männer neu einstellen würde. Zudem tankte die Mannschaft um ihre Superstars Nikola Karabatic und Daniel Narcisse reichlich Selbstvertrauen bei ihrem Sieg im Viertelfinale über den haushohen WM-Titelfavoriten Kroatien. Und das Keeper Thierry Omeyer dieses Mal einen besseren Tag erwischen sollte, war Onesta schon unmittelbar nach seiner Leistung gegen Kroatien bewusst: „Wir haben uns für Thierry den Zaubertrank besorgt, den Heiner Brand dem Henning Fritz immer verabreicht, und alles war wieder in Ordnung.“

Belagerung am Hotel „Zur Post“ in Wiehl

Die unzähligen Psychospielchen im Vorfeld, geprägt vom Hin- und Herschieben der Favoritenrolle, belasteten Fritz & Co. nicht. Während die Franzosen den Deutschen größere Chancen anrechneten, „Mit diesem Publikum im Rücken sind sie auch im Halbfinale Favorit“, wie Omeyer voraussagte, verwies Brand immer wieder auf den bärenstarken Kader Frankreichs. In der Tat spielten die besseren Einzelspieler in Reihen der „Les bleues“. Aber, und das hatte der bisherige Verlauf dieser WM bewiesen: Es sind nicht nur die überragenden Einzelspieler, die Spiele entscheiden können. Es sind vor allem geschlossene Mannschaftsleistungen, die Erfolge erkämpfen und einfahren. Und aus diesem Gesichtspunkt heraus, war Deutschland der Favorit. Daran gab es nichts zu deuten.

Aus dem einst so ruhigen Wiehl war mittlerweile die Handballhauptstadt geworden. Das Hotel „Zur Post“ für kurze Zeit das berühmteste Hotel der Republik. In all dem Rummel um sein Team, verfolgte Brand weiter seinen Plan. Mit Konzentration und Disziplin ging man die Vorbereitung auf das Halbfinale an. Nicht jedoch ohne die kleinen, aber wichtigen, Auflockerungen zwischendurch. Das Videostudium am Abend vor dem Spiel begann mit Ausschnitten aus der Wahl zum „Bravo Boy 2000“. Mimi Kraus, als schönster Junge von Teenagern gewählt, sorgte für Gelächter unter seinen Mitspielern. Dass er im Mittelpunkt stand, war aber durchaus richtig, denn er hatte den Franzosen mit seiner Dynamik als Vertreter des verletzten Markus Baur den Zahn gezogen, und er würde es auch im Halbfinale sein, der viel Verantwortung tragen muss.

Für Oliver Roggisch, dem Zentrum des deutschen Abwehrbollwerks, war indes klar: „Jetzt können wir uns nur noch selber schlagen.“ Das „Projekt Gold“ stand mittlerweile auf einem Sockel, der nicht mehr ins Wanken geraten konnte. War es zunächst ein Wunsch, ein Ziel, was man sich als Sportler immer setzen muss, um erfolgreicher als Andere zu sein, so wuchs die Zuversicht, aber viel wichtiger auch das Wissen, dass dieses Vorhaben auch tatsächlich gelingen kann. Waren es am Anfang die Fünkchen Hoffnung, die von der Euphorie der Fans am Leben gehalten wurden, so war es mittlerweile die Mannschaft selber, die das Titelfeuer richtig entfachte. Keiner sollte sie mehr aufhalten.

„Jetzt können wir uns nur noch selber schlagen.“ Oliver Roggisch strahlte Selbstbewusstsein aus. Auch 2021 gehört er noch zum Team der Nationalmannschaft. Allerdings hat er das Trikot an den Nagel gehängt und wurde nach seiner aktiven Karriere Teammanager. – Foto: DHB

Kapitän Baur gibt sein Okay

Inzwischen war auch das Objekt der Begierde in der Kölnarena eingetroffen. Die WM-Trophäe, eine 30 kg schwere Bronzeskulptur in Form eines werfenden Handballers, die 1972 vom ehemaligen IHF-Vizepräsidenten Alberto de San Roman gestiftet wurde, fand ihren sicheren Platz im Tresor des handballerischen Freudenhauses. In Wiehl begleiteten hunderte Fans die Mannschaft auf ihrem Weg zum Bus, standen bei der Abfahrt Spalier und liefen dem rollenden Gefährt mit der kostbaren Fracht nebenher. Fahnen und Flaggen wohin man blickte.

Die Schaufenster des Ortes dekoriert in Schwarz-Rot-Gold. Überall stand in großen Lettern „Wintermärchen“ zu lesen. Als die Zeitungen an diesem Tag in den Kiosken lagen, prangten die Handballer überdimensional vom Titelblatt. Dass Felix Magath als Trainer des großen FC Bayern entlassen wurde und Ottmar Hitzfeld sein Nachfolger sei, wurde zur Randnotiz. Die Handballer drängten für eine Winzigkeit einiger Tage die Fußballwelt in den Hintergrund. Auch schon ein Erfolg, den kaum einer für möglich gehalten hatte.

Einer hatte an diesem Tag dennoch einen Klos im Hals. Kreisläufer Sebastian Preiß erfuhr kurz vor der Begegnung, dass er nicht im Aufgebot stand. Stattdessen vertraute Brand auf Klimovets. In der Kabine war es ruhig, fast gespenstig ruhig. Volle Konzentration auf das große Ziel. 

 

Auf einen Spieler warf Brand ein besonderes Auge. Markus Baur wurde kurz vor dem Aufwärmen an der verletzten Wade behandelt. Ein letzter Belastungstest in der Halle sollte ihm und dem Trainer Gewissheit bringen, ob er einsatzfähig sei. Draußen im weiten Runde der Kölnarena sangen sich die Fans bereits warm. Die Stimmung schon prächtig, bevor auch nur ein Spieler das Parkett betreten hatte.

Für Brand begannen Minuten der Ungewissheit. Alleine saß er in der Kabine. Mitten in einer proppevollen Halle, fand er eine Oase der Ruhe. Warten auf das Ergebnis von Baurs Wadencheck. Wie ein Gladiator vor seinem Kampf, wie ein Tiger im Käfig stolzierte er hin und her, bis endlich Physio Peter Gräschus die Nachricht überbrachte, dass Baur sich in der Lage sah, zu spielen. Restrisiko bestand zwar, aber es war das bis dato wichtigste Spiel für alle Beteiligten. Da wollte der Kapitän mit an Bord sein. „Okay, dann machen wir das“, entschied der Chef und ließ Baur auf den Spielberichtsbogen schreiben.

Es muss ein Fels gewesen sein, der ihm da vom Herzen gefallen ist, schließlich wusste nicht nur er, wie wichtig Baurs Präsenz in diesem Halbfinale werden würde. „Baur ist mein wichtigster Mann. Ich brauche ihn als Bindeglied zur Mannschaft“, unterstrich er die Bedeutung des Mittelmanns. Auch für Kraus eine wichtige Entscheidung. So war etwas Druck von ihm genommen. Ihm, dem Experten eine ähnlich gute Leistung wie nach Spiel eins zutrauten, aber eher skeptisch waren, ob es eine erneute „One man Show“ gegen nun gewarnte Franzosen geben könnte.

„Die Offensive gewinnt Spiele, die Abwehr Meisterschaften“

Es lag eine gewisse Aggressivität in der Luft, die neben der Spannung und der extrem hohen Erwartungshaltung spürbar war. „Wir lassen uns nicht von denen niedermachen. Zusammen hauen wir sie weg.“ Die letzten Worte der Ansprache waren deutlich. Eine Kampfansage. Traditionell verließ Brand als Erster die Kabine, stand im Kabinengang und wartete auf seine Männer. Die heizten sich drinnen nochmal ein, schworen ihren Teamgeist herauf und waren sich sicher, dass es ihr Spiel werden würde. Abgeklatscht vom Trainer führte sie der Weg durch die Katakomben in diese atemberaubende Arena. Man musste nicht wissen, wo der Weg langführt, das Gehör leitete die Teams in diesen Hexenkessel. Keine Maus passte mehr in die Halle, Gänsehaut-Stimmung Minuten vor dem Anpfiff.

Der Einmarsch der Mannschaften wurde zu einem weiteren Psychospiel. Während Deutschlands Handballhelden mit einem ohrenbetäubenden Lärm gefeiert wurden, wehte den Franzosen ein orkanartiges Pfeifkonzert ins Gesicht. Die Fans wussten, dass ihr Team jede Unterstützung brauchen würde, um dieses „Wunder von Köln“ zu schaffen. Die Pfiffe, so laut sie auch waren, ein Ausdruck des Respekts und der Angst vor dem Gegner. In keinster Weise Verachtung. Frankreich konnte nur gemeinsam bezwungen werden, dass war allen klar. Im Zusammenspiel Mannschaft – Fans wollten alle in dieses Finale. Im Kollektiv zum Erfolg. Mittendrin tanzte „Hanniball“, das offizielle Maskottchen der WM, sich und die Zuschauer warm.

Schon beim Erklingen der Hymnen präsentierte sich der Gastgeber als echte Einheit. Arm in Arm stand das deutsche Team geschlossen beinander, die Halle sang lautstark mit. Dagegen stand in Reihen der Franzosen jeder Spieler für sich. Es war ein Kampfspiel zu erwarten, das durch die Abwehrreihen bestimmt werden sollte. „Die Offensive gewinnt Spiele, die Abwehr Meisterschaften“ lautet ein geflügeltes Sprichwort. Und jetzt, im Halbfinale, ging es wahrlich um mehr als um ein bloßes Spiel. Der Titel lag in Reichweite und die Abwehr sollte das Tor zum Finale aufstoßen.

 

Karabatic in Torlaune

Und so entwickelte sich das von den Experten vorhergesagte Spiel. Frankreich zeigte sich wesentlich besser aufgestellt als bei der Niederlage in der Hauptrunde. Beide Abwehrreihen kämpften verbissen um jeden Zentimeter, um jeden Ball. Henning Fritz und Thierry Omeyer ließen keinen Zweifel an ihrem Weltklasse-Format aufkommen. Nach der 5:3 Führung durch Zeitz in der 12. Minute geriet der Angriffsmotor des DHB etwas ins stottern. Die Franzosen, angeführt vom überragenden Karabatic, nutzten dieses Phase aus und gingen mit 6:5 (B. Gille/18. Min.) in Front. In der folgenden Auszeit forderte Bundestrainer Brand mehr Geduld und Spielmacher Kraus müsse mehr Spielzüge anziehen, um die Angriffskonzepte besser umzusetzen. Doch Daniel Narcisse, wegen seiner enormen Sprungkraft auch „Air France“ getauft, wirft seine Mannschaft bis wenige Sekunden vor Ende der ersten Halbzeit mit 12:10 in Führung. Florian Kehrmann nutzte quasi mit der Schlusssekunde und einem schnell ausgeführten Freiwurf die Chance, um auf 11:12 zu verkürzen.

Es war ein ungewohnter Gang in die Kabine zur Halbzeitpause. Deutschland lag hinten. Während der WM war man nur bei der Niederlage gegen Polen in dieser Situation. Und gerade jetzt im Halbfinale wieder. Brand wählte eine ruhige Art, sprach Vorgaben für die zweite Hälfte gezielt und sachlich an. Dabei merkte er aber auch eine gewisse Verunsicherung bei seinen Spielern. Die Leichtigkeit, die Souveränität der vergangenen Spiele hatte sie für einige Minuten verlassen. Doch Platz für Selbstzweifel war keiner. „Wir haben keinen Grund den Kopf hängen zu lassen. Wir sind voll dran“, gab Brand als Letztes mit auf den Weg. Und urplötzlich waren sie wieder zu hören, diese Anfeuerungsrufe der Spieler. Aufhalten lassen wollte sich zum jetzigen Zeitpunkt keiner mehr.

In der Halle tobten die Fans und verursachten einen Lärmpegel, der wohl noch nie bei einem Handballspiel solche Ausmaße erlangt hatte. Nachher titelte die Kölner Boulevard Zeitung „Express“: „Fans so laut wie ein Düsenjet“. Per Dezibel-Messgerät hatten die Macher des Blattes einen Wert von 118 ausgemacht und wiesen ihre Leser darauf hin, dass nur ein Pistolenschuss oder ein Düsenjet lauter wären als diese unnachahmlichen Handballfans in der Kölnarena.

Der Griff an die Nase – Ein Krimi in Köln

Unter den Augen von Deutschlands Edelfan, Bundespräsident Horst Köhler, ging in den zweiten 30. Minuten die Abwehrschlacht weiter. Zunächst erzielte Zeitz den mental so wichtigen Ausgleich zum 12:12 und immer wieder war es Fritz, der das Tor scheinbar vernagelt hatte. In den wichtigen Situationen war er zur Stelle, entschärfte Frankreichs Angriffe und leitete seinerseits die Tempogegenstösse ein. Karabatic hatte zu diesem Zeitpunkt sein Pulver bereits verschossen und leistete sich zahlreiche Fehler. 51 Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit, Sitzplätze gab es schon lange keine mehr in der Kölnarena, jeder stand und feuerte das Team an, gelang Luc Abalo das 21:20 für Frankreich.

Brand reagierte, nahm die Auszeit und brachte Baur für Kraus. Ohne große Hektik zog der Chef den Angriff dann auch auf, fasste sich nach Pass von Glandorf ein Herz und ging auf die Lücke zwischen Halb und Außen. Mit vereinten Kräften stemmten sich Frankreichs Dinart und Abalo gegen den abgehobenen Baur, konnten den Wurf jedoch nicht verhindern. Omeyer setzte sich auf den Hosenboden, der Aufsetzer landete im Netz. Baurs erster Feldtreffer in diesem Spiel brachte den Ausgleich. Frankreich protestierte nur kurz, wollte die letzten 20 Sekunden zur Entscheidung nutzen. Doch wieder war Fritz auf dem Posten, wehrte den mächtigen Stemmwurf Karabatics ab und sorgte so für die Verlängerung.

2×5 Minuten klingt kurz. Für die geschundenen Körper der Spieler und die Nerven der Fans jedoch eine kleine Ewigkeit. Erste Ermüdungserscheinungen machten sich bemerkbar. So stand Dominik Klein für Toto Jansen auf dem Feld und auf einmal im Blickpunkt. 63:08 Minuten waren gespielt, auf Feinheiten konnte bei aller Aufregung kaum einer mehr achten, da griff sich Markus Baur an die Nase und gab somit Klein den nächsten Spielzug vor. Immer wieder rannten sich Hens & Co. in der Abwehr fest, da legte Baur bei 22:23 den legendären Kempa-Trick fest. Ohne lange durchzuspielen löst Baur nach Halblinks auf, Klein startete von weit außen, hob ab und bekam in der Luft den Pass von Baur. Sensationelles Tor zum Ausgleich und die Halle stand Kopf. „Ist schon ein geiles Gefühl“, sagte Torschütze Klein Wochen später. Wieder brachte Abalo kurz vor Ende die Franzosen mit einem Tor nach vorne. Diesmal war es Holger Glandorf, der sich auf der rechten Seite durchsetzten konnte und für das Remis sorgte. Zeitz störte in den letzten Sekunden den französischen Angriff und so ging es in die 2. Verlängerung.

Glückliches Händchen – Brand bringt Lars Kaufmann ins Spiel. Foto: imago / Horstmüller

Glücksgriff vom Coach

Ein Krimi war mittlerweile nichts im Gegensatz zu diesem Spiel. Stimmen von einem Jahrhundertspiel kamen auf. Und mittendrin der Traum vom ersten Titel seit 1978. Es war in den folgenden 2×5 Minuten keine Frage der spielerischen Klasse mehr. Der Wille würde nun dieses Halbfinale entscheiden. Vielleicht sogar das Glück, wenn es denn zum Siebenmeterwerfen kommen sollte.

Auf der deutschen Bank bekam natürlich jeder mit, wie erschöpft die eingesetzten Akteure mittlerweile waren. Nach einer kurzen Verschnaufpause in der zweiten Hälfte der ersten VL, als Bitter für Fritz im Tor stand, war nun auch die Nr. 1 wieder dabei. Erst Jansen (28:27, 71. Min.), dann Glandorf (30:29, 77. Min.) brachten Deutschland erstmals nach langer Zeit wieder die Führung. Kraus führte wieder Regie, sprach in der Pause die Spielzüge durch und erntete von seinem „Mentor“ Baur zustimmendes Nicken.

Hens wirkte total ausgelaugt, fabrizierte Fehler und agierte nunmehr ohne Durchschlagskraft. Brand überlegte, haderte und schickte dann mit Lars Kaufmann den Spieler aufs Feld, der bis dato noch keine Sekunde absolviert hatte. Für den Rückraumschützen der Wurf ins kalte Wasser, dass nach 75. Minuten in diesem Thriller von Köln noch um einiges kälter gewesen sein mag als üblich. Doch gerade dieser Kaufmann sollte die Hauptrolle der letzten Minuten annehmen, wie es vorher schon Klein bei dessen Einwechslung getan hatte.

Nach dem Siebenmetertreffer durch Abati zeigte die große Anzeigentafel 30:30. Glandorfs Wechsel und Pass auf den kreuzenden Kaufmann drohte zu scheitern. Kaufmann bekam den Ball nicht richtig zu fassen, musste nachgreifen, bekam ihn irgendwie doch in die Hände, ehe er sich durchtanken konnte und von ungewohnt halbrechter Position das 31:30 markieren konnte. Hens drückte seinen Stellvertreter auf der Auswechselbank als Erster.

An Dramatik nicht mehr zu überbieten

Etwas mehr als 2 Minuten noch zu spielen, als Klimo eine Zeitstrafe kassierte. Unterzahl für den DHB. Dramatik und Entsetzen auf den Rängen. Guigous Ausgleich setzte Kraus im Angriff nun unter Druck. Gegen sehr offensive Franzosen wusste Kraus kurzzeitig nicht wo hin mit dem Ball, als Kaufmann sich anbot, das Eins gegen Eins suchte und nur durch ein Foul gestoppt werden konnte. Siebenmeter 64 Sekunden vor Schluss, geballte Fäuste gegen protestierendes Geschrei. Onesta hat nur ein süffisantes Lächeln für die Entscheidung über. Als Kehrmann den Ball holte, betrat wieder Baur die Bühne. Entschlossen stemmte er seinen Fuß an die Strafwurflinie. Seine Wurftäuschungen zwangen Omeyer zu einer Reaktion. Am Aufsetzer war dieser machtlos. 32:31 nach 78:58 Minuten. Das Tor zum Finale stand offen.

Doch wer gedacht hatte, dass es dramatischer nicht mehr ging, wurde in diesen letzten Sekunden mal wieder eines besseren belehrt. Guigou bekam einen Pass von Karabatic nicht zu fassen, alle glaubten, an den scheinbar sicheren Finaleinzug der Deutschen. 40 Sekunden und Ballbesitz. Das musste auch in Unterzahl reichen. Frankreich ging auf Manndeckung über. Kehrmann holte einen Freuwurf raus, als sich Fritz sicherheitshalber schon mal als Anspielstation weit vor seinem Kasten zur Verfügung stellte. Die Zeit war angehalten, nochmal den Schweiß vom Boden wischen, sich neu orientieren. Kehrmann animierte die Fans, weiter zu brüllen, als auf der Bank Baur und Brand lachen mussten. Lachen bei diesem Spielstand, zu diesem Zeitpunkt. In der Halbzeitpause noch undenkbar für die Beteiligten.

Als das Spiel wieder freigegeben war, schnappte sich der Handballer des Jahres aus Lemgo, Kehrmann, den Ball, lief einige Meter und wollte den Ball an den heranstürmenden Jansen übergeben. Der bekam ihn jedoch nicht zu fassen, Guigou hatte seine Finger dazwischen bekommen, eroberte sich den Ball und bewegte sich in einem Mix aus Rennen, Fallen und Hechten Richtung Tor. Fritz reagierte, hechtete zu Boden, konnte den Treffer aber nicht mehr verhindern. Das Unfassbare war eingetreten, zumindest für einige Millisekunden der Lähmung und der Depression. Ausgleich. Aber die Schiedsrichter hatten vorher abgepfiffen, werteten ein Foul und nahmen den Franzosen so den Vorteil.

Freiwurf für die Franzosen, noch 15 Sekunden auf der Uhr. Omeyer wurde auf die Bank beordert und stattdessen streifte sich Fernandez mit einigen Problemen das TW-Leibchen über. 7 gegen 5 Vorteil für Narcisse & Co. Doch anstatt die Überzahl richtig auszuspielen versuchte Narcisse es mit einem Sprungwurf über die Mitte. Fritz hält, aber wieder Freiwurf. Tumulte am Tisch der Zeitnehmer, weil die Uhr nicht sofort angehalten worden ist. Hitzige Wortgefechte, wilde Gestikulierungen auf dem Feld und ein riesiges Pfeifkonzert von den Rängen. Dann wurde die Uhr zurückgestellt, noch 3 Sekunden. Gille führte den Freiwurf aus, Narcisse hob von 11 Metern ab, Roggisch und Kaufmann, der für den kleineren Kehrmann aufs Feld gekommen war, flogen ihm entgegen. Zwar fand der Ball den Weg Richtung Tor, doch Fritz war mit dem linken Fuß zur Stelle und parierte auch diesen Wurf. Als Fernandez versuchte an den Abpraller zu kommen, ertönte, wie eine Erlösung, die Sirene.

„Ich wusste, du kannst zum Held werden, aber auch zum Vollidioten.“ – Johannes „Jogi“ Bitter in der 35. Minute des Endspiels schlug seine große Stunde. Auch 2021 steht Bitter noch im Tor der Nationalmannschaft und vertritt den DHB bei der WM in Ägypten – Foto: DHB

Henning Fritz oder: Der, der mit dem Ball tanzt

Deutschland hat das Finale erreicht und alles was dann passierte, war eine wahre Sturmflut der Emotionen. Fritz, einer der vielen Helden an diesem Abend, schnappte sich den Ball, und rannte völlig losgelöst, alle Strapazen und Anstrengungen der letzten 80 Spielminuten vergessend, los, und stolzierte den Ball wie eine Trophäe, wie „seine“ Trophäe an den tobenden Rängen vorbei durch die Arena.

„Finale oho, Finale oho“, war kaum angestimmt, da ertönte diese Fanhymne aus 19.000 Kehlen. Es dauerte einige Meter bis Kollege Bitter und die Ersatzspieler den Derwisch Fritz eingefangen hatten. Den Ball hatte er immer noch in der Hand. Es brauchte einen Finaleinzug, bis auch der „Eisschrank“ Christian Zeitz auftaute und seine Freude zeigen konnte. Aus seiner Jackentasche zog er einen Zettel. „Suche 2 Karten fürs Finale“ stand darauf. Er hatte sein Ticket bereits gelöst. Mimi Kraus ließ im grenzenlosen Jubel in sein Seelenleben blicken: „Es hieß nur noch auf die Zähne beißen und Wille, Wille, Wille.“

Die Franzosen dagegen waren außer sich vor Wut, belagerten minutenlang die Schiedsrichter und das Kampfgericht und fühlten sich betrogen: „Die Schiedsrichter haben es uns versagt, hier und heute zu gewinnen“, schimpfte ein frustrierter Joel Abati stellvertretend für seine Kollegen und sogar Brand gab zu: „Das letzte Tor der Franzosen war sicher regulär. Da hätte ich mich als Trainer auch drüber aufgeregt.“

Markus Baur aber brachte es auf den Punkt: „Wir hatten am Ende etwas mehr Glück, aber dennoch absolut verdient gewonnen. Vielleicht haben am Ende die Zuschauer das eine Tor Unterschied ausgemacht.“ Onesta verweigerte im Anschluss die offizielle Pressekonferenz und französische Offizielle sorgten am Abend im Hotel für einen Eklat, weil sie einen Schiedsrichter tätlich angriffen. Nur blöd, dass sie sich mit Kenneth Abrahamson einen norwegischen Schiedsrichter ausgesucht hatten. Gepfiffen wurde die Partie von den beiden Schweden Hakansson und Nilsson.

Zwischen all den Umarmungen und Gesängen wurde Henning Fritz dann noch zum „Man oft he Match“ gewählt und die Lautstärke nahm nochmal zu. Den Ball nicht hergebend, schulterte Roggisch unter „Henning, Henning“ Sprechchören den Gefeierten und trug ihn durch die Menge. Passend zur Situation begleitete Johannes Bitter den Transport als Bodyguard und stützte die müden Helden. „Ich bin froh, dass ich der Mannschaft helfen konnte“, lautete die nüchterne Prognose des Mannes, der Frankreichs Rückraum mit seinen Paraden entzaubern konnte. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ dröhnte aus den Boxen und nie war die Antwort für den Höhner-Song näher. Henning Fritz hatte den Ball immer noch.

Ein ganzes Land im Handballfieber

10,64 Mio. Zuschauer vorm TV haben die Partie durchschnittlich verfolgt. In der Spitze sahen 15,34 Mio. zu, was einen Marktanteil von 41,3 Prozent zur Folge hatte. Nie hatten mehr Menschen ein Handballspiel verfolgt. Traumhafte Quoten als Zeichen des WM-Rausches, in dem sich ein ganzes Land befand. Sogar im Bundestag grassierte das Handballfieber. Reden wurden unterbrochen, damit Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse das Ergebnis verlesen konnte. Dass er „Sieg nach 7m-werfen“ nannte, nahm ihm kaum einer übel. Besser informierte Abgeordnete sorgten mit den üblichen Zwischenrufen im Plenarsaal für Korrektur.

Die Rückkehr der Mannschaft ins Hotel nach Wiehl glich bereits einem Triumphzug. Fans warteten vor der Unterkunft und bereiteten den Nationalspielern einen frenetischen Empfang. Kaum auszudenken, was nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft passieren würde. Auch am nächsten Morgen standen Schulklassen vor den Fenstern in der Hoffnung einen Blick auf die neuen Sporthelden des Landes zu erhaschen. Diese freuten sich über 2 Ruhetage. Kraft tanken für den letzten Schritt zur Unsterblichkeit. Samstag sollte dann die unmittelbare Vorbereitung auf das wichtigste Spiel des Lebens beginnen.

Ähnlich spannend verlief auch das zweite Halbfinale zwischen Polen und Dänemark. Auch dort ging es zweimal in die Verlängerung, ehe sich Polen mit 36:33 (30:30, 26:26, 15:14) durchsetzte. Es kam also zu einer Neuauflage des Vorrundenspiels. Für das Deutsche Team die Chance, Revanche für die bis dato einzige Niederlage der WM zu nehmen. Im Boxen würde man sagen: Meister aller Klassen. Nach dem Sieg über Panamerikameister Brasilien, bezwang der DHB noch Weltmeister Spanien und zweimal Europameister Frankreich. Die Revanche gegen Polen fehlte, um das Projekt Gold erfolgreich zu beenden. „Das ist für uns kein Märchen, das ist Realität. Wir sind im Finale und haben uns das vorgenommen. Märchen sind ja keine wahren Geschichten. Und das, was wir hier abliefern, ist das wahre Leben. Ne wahre Sportgeschichte“, sprach Kapitän Baur nach dem Einzug ins Finale in die unzähligen Mikrofone, die an den Lippen der Nationalspieler förmlich klebten.

„Ihr habt heute das schönste Spiel eurer Karriere“

Für Polen bedeutete die Teilnahme am Endspiel den größten Erfolg der Verbandsgeschichte. Nachdem man 1982 bei der WM, ebenfalls in Deutschland, Bronze gewann, sah man sich nun einen Schritt weiter. Das Selbstbewusstsein wuchs enorm. „Mein Traum war Platz 5. Jetzt stehen wir im Finale. Das kann ich gar nicht glauben“, so Marcin Lijewski. Sein Trainer warnte jedoch: „Wer jetzt schon zufrieden ist, der hat das Finale schon verloren.“ Und sein Gegenüber wusste um die Stärke der Polen: „Sie gehörten für mich immer zu den Geheimfavoriten“, gab Brand zum Besten. Für die Bundesligatrainer gehörte Deutschland, jedenfalls vor Beginn der Titelkämpfe, nicht zum Kreis der Favoriten. Lediglich 3 der Trainerkollegen aus der „besten Liga der Welt“ sprachen sich für die heimische Nationalmannschaft als Weltmeister aus. Wie schön irren doch sein kann.

17 Tage alt war diese WM nun an diesem 04.02.2007. 24 Teams haben um den Titel gekämpft und mit dem 92. Spiel dieser Titelkämpfe ging ein Turnier zu Ende, das an Emotionalität und Intensität kaum zu überbieten sein dürfte. Deutschlands Handballer waren im Finale. Das Sommermärchen der Fußballer längst übertroffen und Handball erreichte eine neue Dimension des Interesses. Vor dem Teamhotel in Wiehl schien sich der gesamte Ort versammelt zu haben. Fans belagerten die Straße und warteten auf die Abfahrt des Mannschaftsbusses. Etwas mehr als 2 Wochen vorher interessierte sich kaum ein Mensch für die Handballer bei ihrer Anreise zum Eröffnungsspiel. Dinge haben sich geändert, doch die Ansprache des Bundestrainers blieb gleich: „Ihr habt heute das schönste Spiel eurer Karriere vor euch und das sollt ihr genießen. Spaß haben gemeinsam Erfolg zu haben. Spaß haben die Polen da wegzuhauen.“ Brand wusste um die einmalige Chance an einem WM-Finale im eigenen Land teilzunehmen. Seine Spieler waren sich dessen bewusst: „Eine WM im eigenen Land. Etwas Größeres gibt es nicht“, betonte „Blacky“ Schwarzer die enorme Bedeutung dieses Turniers.

Dass die Fans einen großen Anteil an dem Erreichen des Endspiels trugen, wussten alle. In einem offenen Brief, veröffentlicht in der „Bild am Sonntag“, wendete sich das gesamte Team an seine Fans: „Ohne Eure sensationelle Unterstützung wäre dies nicht möglich gewesen. Eure Euphorie, Eure Begeisterung hat uns ins Finale gebracht“. Vor der Kölnarena versammelten sich schon weit vor Öffnung der Türen die glücklichen Besitzer einer Karte. Auf dem Schwarzmarkt und bei ebay erreichten die Preise für eines der begehrten Tickets für Handball astronomische Summen. Es war In drin zu sein in diesem Hexenkessel im Kölner Stadtteil Deutz. Der ortsansässige 1.FC Köln, Heiligtum der Kölner, sympathisierte mit den Handballkollegen und organisierte im Anschluss an das eigene Bundesliga-Spiel gegen Jena (1:0 für Köln) ein Public Viewing im RheinEnergiestadion in Müngersdorf. Nicht der einzige Ort in Deutschland, wo sich Massen versammelten, um die Daumen zu drücken.

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Handball-WM 2007 – Finale Deutschland gegen Polen. Die Sportschau hat in der Coronazeit Re-Lives von großen Sportmomenten online gestellt. Das Handballfinale 2007 durfte da nicht fehlen.

„Danke für die geile Zeit“

Die deutsche Mannschaft absolvierte derweil den ganz normalen Tagesablauf. Nichts Außergewöhnliches, viel Gewohntes. 10 Uhr Frühstück, um 11 Uhr eine 45-minütige Mannschaftssitzung mit Videostudium, Spaziergang, 12:15 Uhr Mittagessen. Mit jeder Minute wuchs die Spannung, obwohl Brand erkannte, dass seine Jungs „für ein Finale relativ ruhig“ waren. Um 14 Uhr startete der letzte Countdown dieser WM: Abfahrt in den neuen Handball-Tempel.

 

Für den Mannschaftsbus, übrigens das ehemalige Promotionfahrzeug von Formel 1 Legende Michael Schumacher und seinem Bruder Ralf, war es gar nicht so leicht, sich eine Gasse durch die Menge zu bahnen. Kamerateams, Fahnen schwenkende Anhänger, Menschen wohin das Auge blickte. Schornsteinfeger in voller Montur standen Spalier für die Spieler, bevor diese den Bus betraten. Ein Wir-Gefühl war entstanden wie damals, in diesem Sommer ´06. Jogi Bitter und seine Kollegen waren angesichts dieser Begeisterung schier fassungslos, beobachteten ihre Fans und wurden so selber zu Fans ihrer Anhänger. Am Ortsausgang versperrte ein riesiges Plakat die Weiterfahrt: „Danke für die geile Zeit“ prangte in großen Lettern darauf. Die Polizeieskorte vorneweg ließ Fotografen, weit aus dem Fenster der grünen Minna gelehnt, Fotos schießen und bahnte langsam den Weg Richtung Autobahn. Scheinbar überall wurde der DHB-Tross erwartet. Auf Brücken, an Rastplätzen – die Begeisterung wurde alle paar Meter sichtbar und spürbar.

Angekommen in den Katakomben der Kölnarena wurde für einige Minuten aus dem Team eine Ansammlung von Einzelgängern. Jeder war mit seiner Konzentration auf das „Spiel des Lebens“ für sich. Einige hörten Musik, andere präparierten ihre Schuhe für den Einsatz des Harz, wieder andere wie Oliver Roggisch legten sich die Tapeverbände an. Es waren die kleinen Feinheiten, die Spieler jetzt heiß machten. So hing über dem Platz von Henning Fritz ein Zeitungsbericht mit dem Interview des Polen Tomasz Tluczynski: „Ich haue Fritz jeden Siebenmeter rein“, stand in der Überschrift. Bessere Motivation konnte es für den Hexer im deutschen Tor gar nicht geben.

Auf den Rängen sangen sich die Zuschauer bereits warm. „Deutschland, Deutschland“ hallt es durch diese große Halle. Wenige Minuten zuvor feierte Dänemark mit einem 34:27 (21:15) Sieg über Frankreich den Gewinn der Bronzemedaille. Für die sympathischen Dänen um Linksaußen Lars Christiansen war dies die erste WM-Medaille seit dem Gewinn von Silber 1967 in Schweden. Dänemarks Trainer Ulrik Wilbek brachte die Freude auf den Punkt: „Es war uns eine große Ehre, bei diesem tollen Ereignis dabei sein zu dürfen.“

Die Chance zur Revanche

In der Kabine kamen unterdessen alle zum traditionellen Kreis zusammen. Schwarzer ergriff das Wort. Wie so oft während dieser WM war er der Wortführer, lebte die Emotionen vor, die entscheidend für den Titelgewinn sein sollten: „Hier hält uns jetzt keiner mehr auf. Das ist unser Spiel!“

Der Einmarsch an diesem Tag unterlag einem anderen, weil viel offiziellerem Prozedere. Es war Finaltag. Irgendwie alles geordneter, nicht mehr ganz so ungezwungen. Es war besonders. Bevor der Hallensprecher die Teams aufrief, versammelten sich die Spieler in der Ecke des Spielfeldrandes. Letzte Lockerungsübungen, ein letztes Mal die kurze Ansprache des Bundestrainers im Kopf durchgehen. Kapitän Markus Baur rollte den Kopf in den Nacken, wartete wie ein Boxer vor seinem schwersten, größten Kampf auf den Gong. Schwarzer, wie immer ohne Trainingsjacke nur mit Trikot, kam als Letzter aus der Kabine. Die Stimmung schon jetzt grandios, die Fans voller Vorfreude auf den Siegesrausch, an dem keiner der 19.000 Zuschauer mehr einen Zweifel hatte.

Auf der Ehrentribüne nahm neben Bundespräsident Horst Köhler auch dessen Amtskollege aus Polen, Staatspräsident Lech Kaczynski, Platz. Köhler mit dem polnischen Schal um den Hals, Kaczynski trug Schwarz-Rot-Gold. So war es schon bei der Fußball-WM 2006. Damals besiegte Deutschland die Polen mit 1:0 durch einen Treffer von Oliver Neuville und legte den Grundstein für das Sommermärchen. Aber auch die Helden von 1978 waren hautnah dabei. Erhard Wunderlich, Arno Ehret oder Kurt Klühspies fieberten mit ihren möglichen Nachfolgern. Klühspies feierte zudem seinen Geburtstag und sah die Erfüllung seines Wunsches in Reichweite: „Mein Wunsch war es, dass wir am Sonntag, an meinem Geburtstag Weltmeister werden – ganz ehrlich: ich habe es gehofft, aber nicht richtig daran geglaubt.“

Der Magen-Darm-Virus, der einige Akteure von Bogdan Wenta und ihm selber Kraft gekostet hatte, spielte nun keine Rolle mehr: „Alle sind fit“, so der polnische Trainer, dem die Anspannung kurz vor Beginn ins Gesicht geschrieben war.

Scheinbar sicher nach Halbzeit 1

Spektakulär und für die Nerven so ungeheuer wichtig der Auftakt des DHB-Teams. Toto Jansen verwertete nach 1 Min. 35 Sek. einen starken Tempogegenstoßpass von Henning Fritz zur 1:0 Führung. Trotz Bedrängnis durch Karol Bielecki beförderte er rücklings den Ball an Slawomir Szmal vorbei ins Tor. Zwar ging Polen in der Folge mit 3:2 durch einen Treffer von Tkaczk in Führung, doch Deutschland wirkte präsenter auf dem Feld. Innerhalb von 5 Minuten wurde eine 8:3 Führung herausgeworfen. Auch Henning Fritz erwischte wieder einen glänzenden Tag, parierte zahlreiche Würfe und entnervte gleich zu Beginn den polnischen Rückraum. Nicht mal 10 Min. waren gespielt, da nahm Wenta die erste Auszeit. Polen schien durcheinander, ratlos und vielleicht auch am Druck zu zerbrechen.

Brands Abwehrtaktik ging auf. Doch im Angriff wurde etwas nachlässig mit den Chancen umgegangen. Szmal steigerte sich, hielt so den Rückstand in Grenzen. Beim Stand von 11:7 vergab Zeitz mit einem Dreher fahrlässig einen Konter, bekam anschließend eine Pause verordnet und machte für Holger Glandorf Platz. Großer Jubel brandete in der 18. Minute auf. Christian Schwarzer betrat das Parkett. Es war Zeit etwas Ordnung und Disziplin ins deutsche Spiel zu bringen. Aber Polen hatte sich gefangen und konnte den Abstand auf 11:13 aus ihrer Sicht durch Tore von Tkaczk und Lijewski verkürzen. Doch zweimal Glandorf, Kehrmann und Jansen sicherten mit ihren Toren den scheinbar beruhigenden 17:13 Halbzeitstand.

Inmitten des Trubels ging Heiner Brand vor seinem Weg in die Kabine zu Johannes Bitter. Der Fritz´ Ersatz brauchte sich die Ansprache in der Pause nicht anhören. Er sollte sich warmmachen, bereit sein für den eventuellen Fall seiner Einwechslung. Spielerisch gab es keinen Grund den Torwart zu wechseln, aber die Vorsicht des Coachs verlangte erhöhte Aufmerksamkeit, auch oder gerade bei den Auswechselspielern. „Jetzt noch 30 Minuten. Wir fighten“, gab er seiner Mannschaft mit auf den Weg.

Das Aus für den Hexer lähmt das deutsche Spiel

„Ich habe gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt, dass da was kaputt ist“, realisierte Fritz direkt nach der Landung. Kollege Bitter war zur Stelle und vertrat die Nr. 1 mit Bravour. – Foto: imago / Laci Perenyi

Den besseren Auftakt hatten dann auch gleich die Deutschen. Bogdan Wenta marschierte wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Unentwegt redete er mit seinen Spielern. Er wollte diesen Titel unbedingt. Diesen Triumph über seinen ehemaligen Lehrmeister Brand, der ihn zum DHB-Nationalspieler machte. Dann die 35. Minute. Polen eroberte sich den Ball, nahm sofort Tempo auf und lief über Tluczynski den Konter. Pass auf den rechten Flügelspieler Mariusz Jurasik, der frei vor Fritz auftauchte. Blitzartig schnellte das rechte Bein des Keepers hoch und wehrte die Chance zum 20:15 ab. Der Preis dieser Parade war hoch. Als Fritz landete, spürte er sofort einen Schmerz in der Wade, humpelte einige Schritte und legte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Boden. „Ich habe gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt, dass da was kaputt ist“, realisierte Fritz schnell. Mimi Kraus war als Erster bei seinem Torwart. Betreuer eilten herbei, ahnten, dass das Finale für den wiedererstarkten Hexer gelaufen sei. Auch Bitter kniete bei Fritz und versuchte zu helfen. Gemeinsam stützen sie den verletzten Fritz und brachten ihn vom Feld. „Henning, Henning“, dröhnte es aus dem Publikum. Den Schock konnte die Aufmunterung jedoch nicht verdrängen. „Ich wusste, du kannst zum Held werden, aber auch zum Vollidioten. Der Druck war riesengroß, weil Henning super gehalten hatte“, so Bitter hinterher. 34 Min. 37 Sek. war das Finale alt, da begann es für den langen Schlacks aus Magdeburg so richtig.

Zwar schaffte Pascal Hens kurz nach der verletzungsbedingten Unterbrechung das 21:14, aber es sollte für einige Minuten der letzte deutsche Treffer in diesem Finale sein. Polen holte Tor um Tor auf. Jogi Bitter schaffte es nicht von Null auf Hundert. Aber das konnte auch keiner von ihm erwarten. Die Truppe von Bogdan Wenta witterte Morgenluft. Der schon verloren geglaubte Titel war wieder in Reichweite. Dass eine Verletzung dafür verantwortlich war, konnte den ganz in weiß spielenden Polen egal sein. 4 Tore in Folge und plötzlich stand es nur noch 21:18 für Deutschland. Lähmendes Entsetzen machte sich breit. Jansen unterbrach die Torflut zum 22:18, doch die Polen behielten die Oberhand. Der Schock beim Gastgeber dauerte an. Viele Fehler brachten die Unsicherheit zu Tage, die bei Fritz´ Kollegen herrschte. Brand forderte in seiner Auszeit endlich wieder mehr Konzentration. Bitter lenkte nach einer gelungenen Parade seine Emotionen wieder in eine positive Richtung. Nach einem gehaltenen Ball schreit er dem Schützen seine ganze Wut hinterher. Ein Weckruf für die Mannschaft. Sein klares Zeichen, dass er angekommen war in diesem Endspiel. 22:21 und auf einmal die Chance für Polen auf den Ausgleich. Spätestens seit dieser 45. Minute stand das Spiel auf der Kippe.

Die Fehler im Angriff blieben erst mal, doch Bitter lief zur Hochform auf. Zweimal parierte er in Folge gegen Jurasik, verhinderte so den Ausgleich und entfachte das Feuer neu. Ein Doppelschlag von Pascal Hens brachte Deutschland wieder auf die Siegerstraße. Jansen erhöhte erst mit einem eiskalt verwandelten Siebenmeter und wenige Sekunden später per Konter auf 26:22. Der Widerstand der Polen war gebrochen. Zeitz hatte zwar kein Zielwasser bei seinen Würfen, dafür arbeitete der Kieler in der Abwehr vorbildlich und „klaute“ viele Bälle. Durch seine Aufmerksamkeit in der Defensivarbeit sicherte er sich auch die sogenannte „Steal“-Wertung der WM. 16 Mal konnte er seinen Gegnern insgesamt den Ball wegspitzeln.

Auch Brand begann zu realisieren

Nach Hens Treffer zum 27:23 brachen schon alle Dämme, Wenta kniff nur noch die Augen zu. Sein Traum war ausgeträumt. Doch Brand blieb seiner Linie treu. Er forderte weiter Disziplin und Konzentration. Es konnte nichts mehr schiefgehen, doch seine Prinzipientreue war stärker als die Gewissheit. „Ein Unentschieden haben wir sicher“, bemerkte Kapitän Baur, „Bundestrainer, ich glaube, wir verlieren nicht mehr hoch“, ergänzte Fritz kurz vor Ende. Da musste dann sogar Brand schmunzeln.

Schwarzer, mit Blick für Kehrmann, der in der 57. Minute das 29:23 markieren konnte, und die Entscheidung war gefallen. „Oh, wie ist das schön“ – der größte Handball-Chor der Welt stimmte die Weltmeisterfeier an. Henning Fritz, inzwischen mit Krücken versorgt, sprang auf, vergaß all seine Schmerzen und gab sich ebenfalls dem Siegesrausch hin. Das letzte Tor dieser WM, das 29:24 durch Krzysztof Lijewski, ging im Jubelorkan baden. Markus Baur ging an der Seitenlinie entlang, klatschte alle ab. Auf den Sitzen hatte es keinen mehr gehalten, bis auf die polnischen Auswechselspieler, die aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl machen konnten. Noch 10 Sekunden. Die Fans zählten die Zeit runter und um 17:54 Uhr war es vollbracht. Deutschland war erneut Handball-Weltmeister. Grenzenloser Jubel wohin man blickte. Im Kölner Karneval üblich und auch jetzt vorgelebt – Jeder bützte Jeden. Während Wenta versuchte seine Spieler zu trösten, hüpften Brands Männer herum wie kleine Kinder nach der Bescherung. Zusammen mit den Fans, von denen keiner die Arena verlassen hatte, brandete die „LaOla-Welle“ durch die Republik. Ungläubiges Schweigen und Kopfschütteln mischte sich mit Freudenschreien zu einer schwer fassbaren Euphorie. „Für das Team und mich ist ein Traum wahr geworden“, sprach Brand und ganz Deutschland war Zeuge. In der Spitze verfolgten über 20 Mio. Menschen das Finale, im Durchschnitt 16,17 Mio. Unglaublich, aber Handball stand in diesem Moment nicht im Schatten von König Fußball, sondern strahlte mit ihm um die Wette.

Es dauerte eine Weile, bis sich die Spieler auf den Weg in die Kabine machten. Shake hands mit den Unterlegenen, Tänze hier, Küsschen da – die Weltmeister im Partystress. Mittendrin Heiner Brand. Gedankenverloren nach den ganzen Umarmungen ging er umher, erblickte Henning Fritz und ging zu seinem Titan: „Will Dir endlich gratulieren“, sagte der Coach und Fritz antwortete glücklich: „Ich danke Dir.“ 3 Worte, die alles beinhalteten, was zu sagen war.

Das „Projekt Gold“ hatte Erfolg – Der Triumph einer großen Mannschaft. – Foto: imago / Sven Simon

Als in der Arena die Abschlussfeier begann, feierten die Helden in der Kabine ihren Trainer: „Heiner ist der geilste Typ der Welt“ und „Meistertrainer, Meistertrainer, hey, hey“ gaben die Spieler zum Besten in dem Wissen, was Brand für sie getan hat. Dabei hat er sich auch selber ein Denkmal gesetzt. 1978 als Spieler, jetzt 2007 auch als Trainer Weltmeister. Eine Stufe mit „Kaiser“ Franz Beckenbauer erklommen. Als Verehrung für den Trainer klebte sich die Mannschaft Schnäuzer an. Alle waren Heiner. Mit goldenen Pappkronen als Erinnerung an den legendären Vlado Stenzel 1978, ging es raus zur Siegerehrung. Baur vorneweg, folgten überglückliche Weltmeister, die ihre Erschöpfung beiseite schoben. Fritz hielt seine Krücken mehr in die Luft, als dass er sie als Gehhilfen nutzte. Und als Brand und Schwarzer Arm in Arm die Halle betraten, war sichtbar, dass längst eine wahre Freundschaft aus dem Verhältnis Spieler-Trainer entstanden war. Die Polen hatten vor dem Finale scheinbar eine Vorahnung und waren gerüstet. Bronze 1982 – Silber 2007 – Gold ??? stand auf ihren weiß-roten Hummel Trikots.

Nach und nach gingen die Spieler aufs Podium, bekamen ihre Goldmedaillen um den Hals gehängt, als es auf einmal totenstill in der Halle wurde. Die Einheit aus Spielern, Betreuern und Trainern stand endlich um ihn herum. Vor ihnen stand das Objekt der Begierde, das Endergebnis des „Projekt Gold“, der WM-Pokal. Um 18:33 Uhr überreichten Köhler und IHF-Präsident Dr. Hassan Moustafa den Pokal an Markus Baur. Es war tatsächlich geschafft. Weltmeister. Konfetti- und Champagnerdusche. Jeder wollte den Pott küssen und berühren.

Heiner Brand sprach mit Christian Schwarzer und schockte den vielleicht wichtigsten Mann dieses Turniers: „Eigentlich müsste ich jetzt aufhören. Mehr geht nicht.“ Zeit diesen Gedanken zu Ende zu spinnen blieb nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich per Telefon, die Spieler und Fans forderten ihn zum Feiern auf und Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma hatte zur Party im Kölner Rathaus geladen. Um 21:13 verließ der Bus den Handball-Tempel. Keiner ahnte, welche Begeisterung jetzt auf sie warten würde. Mehr als 30.000 Menschen hatten sich auf dem Rathausplatz versammelt, um diesen „eigentlich unmöglichen Titel“, wie Brand ihn nannte, gemeinsam zu feiern. Die Höhner heizten bereits mächtig ein, haben ihr Lied spontan um getextet und gaben ihr „Wenn nicht jetzt, wann dann? Komm wir feiern jetzt den Weltpokal!“.

Der Eintrag ins Goldene Buch, etliche Kölsch und Champagner später, betraten Hens & Co. den Balkon und die WM-Sause ging weiter. Sie sollte einige Tage dauern. Die Handballer hatten ein Märchen wahr werden lassen, auch wenn sie es selber kaum fassen konnten. „Weltmeister – glaubt kein Mensch, dass wir das sind“, grinste ein freudetrunkener Henning Fritz in die Kamera. Die Gewissheit kam später und die Erinnerung an dieses fantastische Team bleibt ewig. Sie hatte endlich funktioniert – „Eine Deutsche Einheit“. (anhe)

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